Dabei war die Frage echt ernst gemeint: Wie komme ich am besten durch die Dünen? Der Sand in der Wüste Marokkos ist wie Treibsand. So schnell kannst Du gar nicht gucken, wie Du da mit deinem Motorrad stecken bleiben kannst. Und dann zieh’ den Bock da erst mal wieder raus. Als ob Kamelhaufen da irgendeinen Unterschied machen würde…
“Ohne Quatsch, Mann! Kamelkacke! Die Viecher sind stockfaul, aber nicht doof. Im tiefen Sand zu latschen finden die genauso anstrengend wie wir. Also gehen die da, wo der Boden fest ist. Und da kacken die auch.” Maurice dämmerte es. Vielleicht hatte Aksel doch nicht zu lange am Auspuff seines Subaru geschnüffelt, auch wenn das Gesicht definitiv danach aussah.
“Noch’n Bier?” – “Was? Äh, nein, danke…”
Maurice war noch nicht ganz über die entwaffnende Logik des Dänen hinweg. Außerdem geht es morgen aus den Dünen in die Berge. Da muss der Belgier absolut fit sein. Einen Kater konnte er da als letztes gebrauchen.
Mythos Tuareg-Rallye. Die größte Wüstenrallye unter deutscher Organisation. 2.500 Kilometer Staub, Sand und Geröll – ein Härtetest für die über 120 Fahrzeuge, davon alleine 90 Motorräder, und deren Fahrer, Beifahrer und Teams. Vielleicht nicht so groß und kommerziell wie die bekannteste aller Wüstenrallyes, die Dakar, aber deswegen nicht weniger Abenteuer. “Dem Veranstalter ist die Sicherheit der Teilnehmer extrem wichtig”, erzählt Oliver Zorn. Oliver ist im normalen Leben Chefarzt des Notaufnahmezentrums der Rottal-Inn-Klinik in Eggenfelden. Für eine Woche im Jahr aber ist er einer von fünf Ärzten, die das Feld der Tuareg-Rallye begleiten.
Maurice ist genervt. Von sich selbst. “Verdammt noch mal, so schwer kann dieses Kaff doch nicht zu finden sein?”. Es lief so gut in den Dünen! Aber jetzt kurvt er schon seit drei Stunden durch die Hügellandschaft Marokkos auf der Suche nach dem nächsten Checkpoint, eine kleine, gottverlassene Oase westlich von Bouadil. “Das kann nicht der richtige Weg sein”, denkt er sich, als er mit schleifender Kupplung versucht, die KTM 690 Rally durch das lose Geröll zu zirkeln. “Benzin wär’ langsam nicht schlecht. Und Wasser.” Die Temperaturen in der West-Sahara sind im März zwar noch erträglich, aber trotzdem heißt das hier nicht umsonst “Wüste”. Wasser ist Mangelware. Dumm, dass der Mensch das kostbare Nass nun mal zum Leben braucht, vor allem wenn er seit Stunden 160 Kilo Aluminium, Stahl und Kunststoff umher wuchtet.
Neben den Ärzten sind während der fünf Tage der Rally auch mindestens 15 Rettungs- und Notfallsanitäter im Einsatz. Mindestens deshalb, weil viele nicht als solche erkennbar sind: “Die sind dann in der Versorgung oder an einem Checkpoint in der Auswertung. Es ist einfach praktisch, wenn ein Helfer bei so einer Veranstaltung mehrere Dinge kann”. Als ehemaliger Leiter Rettungsdienst in Düren weiß Zorn die ein oder andere Sache über Motorsport, schließlich liegt mit dem Nürburgring die legendärste Rennstrecke der Welt im Zuständigkeitsbereich seiner ehemaligen Wirkungsstätte. Und er kennt die Geräte, die im Falle eines Falles dafür sorgen sollen, dass die Zahl der Toten bei der Rallye Tuareg auf dem aktuell niedrigen Stand bleibt: der corpuls3 und das corpuls cpr. “Das cpr mussten wir zum Glück gar nicht erst auspacken, die drei corpuls3 haben aber genauso gut im Wüstensand der Sahara funktioniert wie bei uns zu Hause in Deutschland. Die liefen einfach”.
Der medizinische Stab der Tuareg-Rallye besteht nicht nur aus Multitalenten – er ist eins. Auf den ersten Blick nur für die Versorgung der Teilnehmer gedacht, hat der Rallyetross aber auch eine gemeinnützige Seite: “Das hat sich in den letzten zehn Jahren etwas reduziert, aber natürlich kommen auch heute noch Einheimische und bitten uns um medizinische Hilfe, um Rat oder einfach nur um eine Untersuchung. Früher kam schon mal eine schwangere Frau, wohl wissend, dass wir ein Ultraschall dabeihatten, und bat uns mal nach dem rechten zu sehen”. Das sind die Momente, wo der familiäre Aspekt der Tuareg zum Tragen kommt. Viele Teilnehmer sind Wiederholungstäter. Nicht wenige werden vom Teilnehmer zum Teil des Orga-Stabes. Aber alle sind sich einig: die Tuareg ist besonders.
Maurice drückt die Kurzwahltaste. 80 Kilometer entfernt klingelt im Orga-Zelt der Tuareg Rallye das Telefon. Eine Assistentin nimmt das Gespräch an. “Rainer? Kommst Du mal?” Rainer, das ist Rainer Autenrieth, ehemals Ingenieur für Brennstoffzellen bei einem Stuttgarter Autokonzern. Und seit 19 Jahren der Mann hinter der Tuareg-Rallye.
“Ja? Maurice? Ok, ja, wo bist du? Wie, kein GPS? Ok, das kriegen wir hin – Flussbett sagst du?”, Rainers Finger gleiten über eine Karte an einer Stellwand, “Alles klar…beschreib mal die Gegend…schon klar, dass da nur Steine sind, dann beschreib’ halt die Steine!”
Die Rallye Dakar hat den afrikanischen Kontinent schon vor über zehn Jahren verlassen, ihre Heimat ist Südamerika. Aus Sicherheitsgründen. Dennoch sind in der rund 40-Jährigen Geschichte der Dakar 67 Menschen ums Leben gekommen. Die Tuareg hat in fast 20 Jahren nur zwei Menschenleben gefordert. Nicht, weil sie anspruchsloser ist, sie ist anders. Hier zählt Navigationssinn, nicht der dickste Geldbeutel. Während Werksteams von Peugeot oder BMW Millionen in der Atacama-Hochebene versenken, ist die Tuareg auch für den Amateur erreichbar. Eine spezielle Rennlizenz ist nicht nötig. Ein Auto kann man für deutlich unter 10.000 Euro aufbauen (für diesen Betrag bekommt der Gewinner der Dakar 2018, Stephane Peterhansel, wahrscheinlich nicht mal einen Stoßdämpfer für sein Rallyeauto), wie die britische Autozeitschrift “Top Gear” letztes Jahr bewiesen hat – immer noch eine Menge Geld, keine Frage, aber machbar.
“Habt ihr Wasser dabei?” – “Klar!”
Keine Stunde nach dem Anruf bei der Rallye-Orga wuchten Helfer das Motorrad von Maurice’ verletztem Bein. Die Sanitäter habe ihn nicht mal 100 Meter von der Stelle entdeckt, wo Autenrieth ihn, nur dank der Beschreibung der Steine in einem ausgetrockneten Flussbett, vermutet hatte.
“Spürst Du deine Beine?”
“Jetzt ja, das Moped war auf Dauer etwas schwer..”
“OK, bleib trotzdem erstmal liegen, wir packen Dich auf eine Trage. Was macht das Bein?”
“Fühlt sich gut an, aber die Schulter…”
“Für die meisten, egal ob Teilnehmer oder Orga, ist die Tuareg wie Urlaub. Für mich auch!” erzählt Oliver Zorn, “Nach den paar Tagen in Marokko schrumpfen die Probleme, die mich vorher zu Hause noch wahnsinnig gemacht haben. Egal wie groß die waren, das sind plötzlich alles nur noch Luxusprobleme. Die Tuareg erdet. Und das ist das Schöne daran.”
Kein Wunder also, dass viele Teilnehmer, auch wenn sie verletzungsbedingt oder aus technischen Gründen ausgeschieden sind, die Rallye bis zum Ende begleiten.
“Na, Mann? Noch’n Bier?” – “Klar! Machst Du’s mir auf?”
Maurice sitzt im Camp, den linken Arm in der Schlinge. Ein kauziger Däne schleppt zwei Bierflaschen an.
“Was sagt der Doc?”
“Schlüsselbein. Wird wohl eine Zeit dauern.”
“Autsch! Bereust Du’s mitgefahren zu sein?”
“Kein Stück! Prost Aksel…”
“Skal! Auf die Tuareg!”
“Auf die Kamelhaufen!”
2020 startet die Tuareg wieder. Wenn Sie Lust haben als Teilnehmer oder Helfer: www.tuareg-rallye.eu.
Geld gibts aber keins! In den Worten von Oliver Zorn: Wir machen’s für die Ehre!